We are Rwanda

Vorwort der Botschafterin der Republik Ruanda
in Deutschland

Als ich 2009 Botschafterin meines Landes in Berlin wurde, fiel mir auf, wie sehr Ruanda polarisiert. Im Laufe der Zeit verstand ich die Gründe dafür. Doch zugleich musste ich mit Bestürzung erfahren, dass es viele Menschen gibt, die ihr Urteil fällen und es dabei unerheblich finden, was wir Ruander denken oder fühlen.

Um Ruandern eine Stimme zu verleihen, hatte ich die Idee, ein Buch über Ruanda herauszugeben. Ich wollte die helle Seite meines Landes zeigen, wollte die Entwicklung verdeutlichen und eine Antithese dazu setzen, dass Ruanda nur mit dem Genozid und mit dem Hutu-Tutsi-Konflikt in Verbindung gebracht wird. Eine ganze Nation allein auf seine tragische Geschichte zu reduzieren –das störte mich sehr.

Ich dachte, man könne über ein Ruanda jenseits des Genozids schreiben. Aber ich habe mich geirrt. Auch mir wurde nun noch einmal sehr deutlich bewusst, wie einschneidend dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die daraus folgenden Tragödien unser Land verändert haben.

Der Genozid gegen die Tutsi wurde minutiös geplant und durchgeführt. Er dauerte 100 Tage. Seither sind 20, nunmehr über 25 Jahre vergangen, aber im Alltag zeigt sich, die hinterlassenen Wunden sind tief. Wie weitreichend die Konsequenzen sind, das verdeutlicht unter anderem die ruandische Schriftstellerin Esther Mujawayo, wenn sie beschreibt, wie beispielweise traditionelle Begrüssungsformen nicht mehr ohne Weiteres benutzt werden konnten. Und auch ich habe, wenn ich meinen ruandischen Gesprächspartner nicht kenne, Hemmungen zu sagen: Meine Eltern sind noch am Leben. Vor allem, wenn mein Gegenüber jung ist. Bis heute beeinflusst die Erfahrung des Genozids gegen die Tutsi mal bewusst, mal unbewusst Entscheidungen verschiedenster Art: Persönliche, gesellschaftliche, politische – Jene, die Ruanda heute von aussen betrachten, beurteilen oder gar Forderungen stellen, sollten die Sensibilität besitzen, mit dieser Vergangenheit, die unser ganzes Sein prägt, bewusst umzugehen. Wir haben viel geschafft, aber wir brauchen noch Zeit: um die Wunden heilen zu lassen, die Menschen mit sich selbst, mit dem Land, mit der Politik und miteinander zu versöhnen. Wir wollen unseren eigenen Weg und die unserer Kultur entsprechenden Lösungen finden. Wir erwarten Respekt dafür und genügend Raum, dies in unserem Tempo, nach unseren Massstäben tun zu dürfen. Exogene Ansprüche jeglicher Art stehen dabei nicht im Vordergrund. Gut gemeinte Unterstützung von aussen wird hoch geschätzt, sofern diese unsere Würde nicht untergräbt und im Einklang mit unseren Ziele steht: eine vereinte, eigenständige und souveräne Nation zu werden. Die Menschen in Ruanda haben wieder Mut gefasst, sind optimistisch, fleissig und bestrebt, ihr Land aufzubauen und für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft zu gestalten. Und auch wenn vieles in der Summe noch traurig ist, so spricht aus den Geschichten doch Hoffnung, Dynamik, eine bemerkenswerte Kraft und der Wille zu einem neuen und besseren Leben. Ich freue mich, dass wir diese Geschichten mit Ihnen teilen können und wünsche Ihnen einen bereichernden Einblick.

Ihre Christine Nkulikiyinka

Auf der Suche nach einer bewegenden Geschichte habe ich 2014 die Botschafterin Ruandas kontaktiert und wir trafen uns für einen im Ergebnis weitreichenden Austausch. Mit der Journalistin Andrea Jeska machte ich mich auf, die vielen Orte der grösstenteils sehr bedrückenden Geschichte dieses wunderschönen Landes für mein Fotoprojekt zu besuchen. Es gab mit Sicherheit immer wieder traurige Momente, aber auch viele hoffnungsvolle, sehr bewegende Begegnungen prägten unsere Reise. Mein Bild Ruandas wandelte sich unmissverständlich.

Die Zeit allein kann Wunden nicht heilen. Den Schmerz der Geschehnisse und deren Folgen wird und darf, dort – wie hier, keiner je vergessen – jedoch kann er durch die Förderung des Friedens und des Verständnisses der Volksgruppen untereinander, der Stärkung der Perspektiven der Menschen durch Unterstützung von Bildung und persönlicher Förderung und des Begreifens der Geschichte in eine positive Energie der Schaffenskraft gewandelt und dadurch verarbeitet werden. Es wäre von Herzen zu wünschen, dass Ruanda die eigene Identität in aller Konsequenz bewahrt und schützt und nicht die selben Fehler begeht, wie der Westen in der Falle der modernen Zeit des Wachstums um jeden Preis.

Tom Baerwald